Nach 20, im Ganzen sogar 30 Jahren Planung und Arbeit - mit Übergang von der Schreibmaschine zum PC! - ist im legendären Handbuch der Altertumswissenschaft des Beck-Verlags der Doppelband 6,1-2 über die Glanzepoche der lateinischen Patristik erschienen. Als der Band 2020 auf den Markt kam, waren inzwischen 10 Mitarbeiter verstorben, darunter zwei der drei Herausgeber. 

Auch jetzt noch, drei Jahre nach dem Erscheinen, lohnt sich diese Buchanzeige. Die beiden Bände mit insgesamt 1.700 Seiten sind ein herausgeberisches und inhaltliches Meisterwerk, und dementsprechend mit  148,- und 178,- Euro noch vertretbar teuer. Denn hier ist wirklich ein immenses, nahezu uferloses Material verarbeitet und aufbereitet, und dies in einer Dichte, die den Leser staunen lässt. 

Die Bände sind eine Literaturgeschichte des lateinischen Schrifttums der Zeit von 374 bis 430 unter dem Titel "Die Literatur im Zeitalter des Theodosius" (gemeint ist wohl Theodosius I., + 395). Es geht also nicht um inhaltliche (womöglich theologische) Auseinandersetzung mit den betreffenden Schriften, sondern um Fragen der Authentizität, des Autors, des historischen Umfelds, des Anlasses, der Datierung und des Inhalts, vor allem auch um Fragen der Handschriften und ihrer Überlieferung sowie der Edition. Es wird auch immer die Weiterwirkung des Werks bis zur Renaissance angesprochen.

Der Doppelband umfasst sowohl pagane wie christliche Schriften und überblickt (fast) das gesamte Spektrum der Themen. Im paganen Schrifttum werden etwa Recht und Verwaltung, Geographie und Topographie, Krieg und Landwirtschaft, Landvermessung, Medizin und Naturkunde, Grammatik und Rhetorik behandelt. Dann kommt die Poesie, auch die christliche (Paulinus, Prudentius usw.), schließlich Rom als kulturelles Zentrum (Rhetorik, Philosophie, Historiographie, Chronographie u.a.).

Der zweite Band umfasst ausschließlich christliche Prosa, nach Regionen geordnet: Rom/Italien, Norditalien, Illyricum, Gallien, Spanien und Afrika. Über weite Strecken handelt es sich also um eine patristische Literaturgeschichte, innerhalb der Regionen nach Themenfeldern geordnet: Papstliteratur, Bibel, Apologetik, Kontroversliteratur (Luziferaner, Askesebewegung, Pelagianer, Arianer, Priszillianer, Donatisten, Manichäer). Zuweilen wird auch die Konzilienliteratur berücksichtigt; mit ihr beginnt sogar der zweite Band (Italische Konzilien). 

Liturgie und Homiletik spielen keine Rolle, dafür aber findet im zweiten Band die Hagiographie breite Berücksichtigung. So werden die römischen Legenden behandelt, aber auch die hagiographischen Schriften im Umfeld des Ambrosius, ferner die gallische, spanische und nordafrikanische Hagiographie.   

Der Aufbau des Handbuchs ist bemerkenswert, ja einmalig. Für eine bestimmte spätantike oder frühchristliche Schrift werden zunächst die Editionen und die Fachliteratur angegeben. Das ist noch ziemlich herkömmlich. Dann aber folgen ausgeschriebene "Testimonien", d.h. lateinische Textquellen, die von den Personen oder dem Schriftstück sprechen, um die es hier geht. Das erleichtert es erheblich, die Argumentation über die Identifizierung der Personen und Schriften zu überprüfen. Anschließend wird die Schrift inhaltlich zusammengefasst, werden sprachliche Besonderheiten erördert und wird die Schrift literarisch eingeordnet.

Hieronymus und sein Martyrologium

Herausgegriffen seien zwei hagiographische Texte, zu denen von Peter Lebrecht Schmidt, einem der verstorbenen Herausgeber des Handbuchs, höchst bemerkenswerte Behauptungen aufgestellt werden, die zum Teil völlig aus der Mehrheitsmeinung der Forschung herausfallen. 

Es wird behauptet, eine römische Märtyrerliste von 399 (bis Papst Siricius), die in das Martyrologium Hieronymianum einfloss, habe die Märtyrer "in der wohl ursprünglichen, größeren Vollständigkeit" enthalten (P. L. Schmidt, in: Bd. 6,2, S. 70). Demnach wäre also die jüngere Märtyrerliste von 399 der älteren Depositio martyrum von 336 vorzuziehen. Mit dieser erstaunlichen Meinung folgt Schmidt immerhin keinen Geringeren als Mommsen und Duchesne (ebd. 150).

Noch sensationeller sind die Ausführungen über das Martyrologium Hieronymianum. P. L. Schmidt sagt, dass die beiden einleitenden Briefe der Bischöfe Chromatius von Aquileia und Heliodor von Altino und des Hieronymus seit der Renaissance "unbegründet als unecht gelten" (Bd. 6,2, S. 151). Damit revidiert er sogar die Meinung der Clavis Patrum Latinorum, die Hieron. ep. 48-49 sozusagen ex cathedra zu "litterae ficticiae" erklärt. Für Schmidt ist also die älteste Fassung des Martyrologium Hieronymianum (399 abgeschlossen) ein authentisches Werk des Hieronymus. Das ist insofern bemerkenswert, als dann auch die hagiographisch höchst bedeutsamen Apostellisten mit den Missions- und Verehrungsstätten der Apostel, die dem Briefwechsel folgen, authentisch sind und einen Apostelkult um 399 widerspiegeln (ebd. 152). 

Schmidt stellt daraufhin ein neues Stemma der Haupthandschriften des Martyrologium Hieronymianum auf. Demnach gibt es nicht 2, wie von de Rossi und Duchesne behauptet, sondern 3 Familien, nämlich Bernensis, Wissemburgensis und Epternacensis. Alle drei gehen unabhängig auf den Archetypen zurück (Bd. 6,2, S. 152). Als bester Kodex sei nun nicht mehr E, sondern B anzusehen.

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