Von Andreas Raub

Der Begriff "Quarantäne" stammt aus dem Italienischen und wurde, ähnlich wie "Ghetto", im Venedig des 14. und 15. Jahrhunderts geprägt. Er leitet sich von der Praxis ab, den aus den Pestgebieten in der Levante stammenden Schiffen für 40 Tage die Einreise in die Stadt zu verwehren. 40 Tage heißt im Italienischen quaranta giorni, daher "Quarantäne". Die Ausbreitung infektiöser Krankheiten sollte durch eine Zeit der Isolation = "Verinselung" (von isola = Insel) verhindert werden.

Der venezianischen Vorsorgemaßnahme verdanken wir zudem das Wort "Lazarett". Bernhard von Siena regte 1423 die Errichtung eines größeren Spitals auf der südlich der Lagunenstadt gelegenen Insel Lazzaretto Vechio an. Auf dieser Insel lag die Kirche Santa Maria di Nazareth an der zuvor bereits Heiliglandpilger versorgt wurden. Das Patrozinium der Kirche "S. Maria di Nazareth" verschmolz mit dem Namen des Heiligen der Pest- und Leprakranken, des heiligen Lazarus (San Lazaro), sodass aus Lazaro und Nazaretto der Name der Insel "Lazzaretto" wurde und daraus wiederum das Lazarett. Interessanterweise spricht Papst Franziskus häufig von der Kirche als Feldlazarett.

Hier, und auf der drei Kilometer nordöstlich gelegenen Insel Lazzarretto Nuovo, warteten Schiffsbesatzung und Waren 40 Tage auf ihren Hafengang. Die teils heute noch sichtbaren Wandbemalungen des Quarantänelazaretts geben einen Eindruck von der Ungewissheit und Langeweile der dort Stationierten (siehe Abbildung).

Die 40-tägige Dauer der Isolierung orientierte sich dabei weniger an modernen Maßstäben medizinischer Empirie, als vielmehr an einer konkreten Imitatio Christi, einer biblisch begründeten geistigen und körperlichen Zeit der Hygiene und Läuterung. Die Zahl 40 war und ist für das Judentum und Christentum von großer Bedeutung. Sie steht für Probe, Reinigung und Reifung:

40 Tage und 40 Nächte dauerte der Regen, während Gott Noah und dessen Arche unter seinen Schutz stellte; Abraham nahm 40 Tage und 40 Nächte keine Speise zu sich, bevor er seinen Sohn Isaak opfern wollte; Isaak wartete bis zu seinem 40. Lebensjahr, bis er entschloss mit Rebekka eine Familie zu gründen und so Gottes Verheißung zu erfüllen. 40 Wüstenjahre durchlebte das Volk Israel und 40 Tage verbrachte Mose auf dem Berg Sinai, bis er das Wort Gottes, die heiligen Bundestafeln, empfangen durfte. Erinnernd heißt es demnach: «Du sollst an den ganzen Weg denken, den der Herr, dein Gott, dich während dieser 40 Jahre in der Wüste geführt hat, um dich gefügig zu machen und zu prüfen. Er wollte erkennen, wie du dich entscheiden würdest: ob du seine Gebote bewahrst oder nicht.« (Dtn 8, 2)

Papst Benedikt XVI. schreibt in seinem ersten Jesus-Buch: «Als Jesus „40 Tage und 40 Nächte gefastet hatte, hungerte ihn“ (Mt 4,2) […] Die vier Enden der Welt umschreiben das Ganze, und Zehn ist die Zahl der Gebote. Die kosmische Zahl mit der Zahl der Gebote multipliziert wird zur sinnbildlichen Aussage für die Geschichte dieser Welt überhaupt. Jesus durchwandert gleichsam noch einmal den Exodus Israels, und er durchwandert dann die Irrungen und Wirrungen der Geschichte überhaupt; die 40 Hungertage umfassen das Drama der Geschichte, das Jesus in sich aufnimmt und durchträgt.« (S. 58).

Nur noch in wenigen Gemeinden praktiziert, aber auf eine Praxis der frühen Kirche zurückgehend, wird das 40-stündige Gebet, im Italienischen Le Quarantore. Als außerordentliche Gebetsform erfuhr es im 16. Jahrhundert durch Karl Borromäus oder Philipp Neri neuen Aufschwung und wurde an den Österlichen drei Tagen (Triduum Paschale) sowie bei Gefahren und Seuchen gebetet. Es geht zurück auf die Dauer der Grabesruhe Jesu, die von Karfreitagnachmittag bis Ostermorgen reichte und für die man 40 Stunden ausrechnete.

Der aus der biblischen Zahlensymbolik stammende Begriff der Quarantäne wurde als Zeit der Probe, Reinigung und Reifung gedeutet, als konkrete Imitatio Christi. Im Durchleben und Durchleiden der lebensfeindlichen Isolation verweist sie hin zu Ostern und dem Wesensmerkmal Gottes: Communio - Gemeinschaft.