In der opulenten Festschrift "Contextus" (Jahrbuch für Antike und Christentum, Erg.bd. 41) für Prof. Dr. Sabine Schrenk, die ihr anlässlich ihrer Emeritierung auf der Bonner Stiftungsprofessur für Christliche Archäologie überreicht wurde, sind zahlreiche Beiträge über frühchristliche Textilien, Bilder, Gebäude und Kleingegenstände versammelt. Den Abschluss bilden kirchenhistorische Beiträge, aus denen ein langer Aufsatz von Prof. Dr. Clemens Scholten (Köln) über die Frage "Das Fach Kirchengeschichte - eine theologische Disziplin?" (S. 545-572) herausragt.

In gewohnt erschöpfender und präziser Form, aber auch mit dem Mut zur Stellungnahme entwickelt Scholten sein Thema, nicht zufällig mit Hubert Jedin beginnend, dem großen Kirchenhistoriker, der vor seiner Bonner Zeit durch seine historische Brillanz so viele Jahre als "God Father" den Campo Santo Teutonico geprägt hat. Nach Jedin haben sich u.a. Klaus Schatz, Hans Reinhard Seeliger, Klaus Ganzer und Karl Suso Frank, zuletzt Andreas Holzem und Hubert Wolf an dem Thema abgearbeitet. Scholten findet einen eigenen Standpunkt, mit dem sich der Autor voll identifizieren kann (S. 570f.):

"1. Alle Anstrengungen der Kirchenhistoriker zeigen, dass das Fach Kirchengeschichte, wenn es Teil eines theologischen Fächerkanons zu sein beansprucht, ohne den Bezug zu einer Vorgabe, einem Fixpunkt, nicht auskommt. Das kann ein Begriff von Kirche, von Gott, von Inkarnation, von Geschichte sein.

3. ... Geschichte als theologisch relevant für die theologische Argumentation zu klassifizieren, basiert auf dem, was die jüdisch-christliche Tradition stets geglaubt und verkündet hat. Eine Trennung von sog. Profangeschichte und Kirchengeschichte ist aufgrund dieses "Vorverständnisses" daher nicht möglich.

Problematisch kann der Begriff "Christentum" zur Bezeichnung des Gegenstandes einer sich kirchlich-theologisch verortenden Kirchengeschichte werden, wenn er bewusst in Kontrast zum Begriff "Kirche" gedacht wird. Das "Christentum" als Gegenstand der Disziplin Kirchengeschichte steht, wenn es nicht als mit Kirche identisch verstanden wird, in der Gefahr, lediglich als Teil einer Religions- oder Kulturgeschichte verstanden zu werden, die ihren eigenen Standort und ihr Selbstverständnis anders als Kirche festlegen wird.

5. Wenn somit das Fach Kirchengeschichte in einem theologischen Fächerkanon ohne ein bestimmtes Selbstverständnis nicht auskommt, hat die Sicht ihre Berechtigung, dass das Fach Kirchengeschichte als Bezugsfeld und Identifikationsraum die Bekenntnis- und Erkenntnisgemeinschaft des Christentums zur Voraussetzung hat. Durch diesen Ausgangspunkt konstituiert es sich und reiht es sich in die anderen theologischen Disziplinen ein. Die Kirche ist der eigentliche Bezugsrahmen des Faches Kirchengeschichte, und dieses stellt gerade durch die Vernetztheit mit anderen historisch arbeitenden Disziplinen die Historia nach Möglichkeit umfassend zur Verfügung, welche das Identitätswissen und die gruppenspezifische Memoria der Kirche ermöglicht. ... Das Fach Kirchengeschichte bezieht seine Daseinsberechtigung aus diesem Fragehorizont, der sie von anderen Formen der Geschichtsschreibung unterscheidet.

6. ... Wenn die Kirche es als Teil ihres Selbstverständnisses für notwendig erachtet, Geschichte für sich selbst als essentiell zu erklären, zB. weil es nach ihrer Auffassung keinen christlichen Glauben ohne historische Offenbarung und historische Vermittlung dieser Offenbarung gibt, oder weil Kirche einen historischen Aufweis der Kette der Wahrheitszeugen geliefert bekommen möchte, also Historisches zu apologetischem Zweck benutzen möchte, oder weil sie durch Erinnerung ihre Theorie und ihre Praxis verstehen will und Richtiges von Falschem unterscheiden möchte, ist sie selbst es, die das Betätigungsfeld für das Fach Kirchengeschichte öffnet: Das Fach Kirchengeschichte empfängt seinen Gegenstand nicht, wie Jedin meinte, von der Glaubenswissenschaft, sondern von der Kirche, und nicht das Fach Kirchengeschichte ist es, das seinen Gegenstand im Glauben festhält und dadurch selbst zur theologischen Disziplin wird, sondern die Kirche konstituiert aufgrund der frei übernommenen Wahl einer aus ihrer Sicht notwendigen, der Wahrhaftigkeit verpflichteten Memoria ein Fach, das aufgrund seiner Methode geeignet ist, diesem Fragehorizont von Kirche zu entsprechen und dadurch zur memorialen Selbstvergewisserung der Glaubensgemeinschaft Kirche beizutragen".