Ein neues Buch von Britta Kägler und Gesa zur Nieden
Goethe, Stendhal, Wilde: dass diese Herren die Vorzüge der Ewigen Stadt genossen, ist bekannt. Aber wenn berühmte Musiker aus Frankreich oder Deutschland genannt werden sollen, fallen Namen sehr viel stockender. Dieses Vergessen ist erstaunlich, denn im barocken Rom gab es eine große Nachfrage und es wurde viel Geld vom Papsthof, dem Adel und den weltlichen Gesandtschaften am Heiligen Stuhl für gute Komponisten und Instrumentalisten ausgegeben. Hier entwickelten sich neue Gesangsstile, neue Gattungen. Dass all dies auch viele ausländische Musiker anzog, können Britta Kägler und Gesa zur Nieden belegen: Beide arbeiten im Forschungsprojekt „Musici“. Die Gruppe von Geisteswissenschaftlern an der École française und dem Deutschen Historischen Institut in Rom untersucht die Lebensweise und Arbeitswelt von ausländischen Musikern im Italien des 17. und 18. Jahrhunderts.

Hier ein Interview von Britta Kägler mit Radio Vatikan zum Buch

Um wichtige Forschungsergebnisse einer größeren Leserschaft bekannt zu machen, haben Kägler und Zur Nieden soeben bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt den Band „Die schönste Musik zu hören. Europäische Musiker im barocken Rom“ veröffentlicht (hier Bestellung bei Amazon). Der Aufbau des Buches ist sehr leserfreundlich. In acht Kapiteln stellen die Autorinnen Fragen einer imaginären Reisegruppe und präsentieren dazu Antworten aus ihren Forschungsergebnissen. So werden viele, farbige Ereignisse des römischen Musiklebens in einem unterhaltsamen Ton vorgestellt: „Die Beleuchtung, die Musik und die fiktionalen Anklänge der Spektakel verstärkten sich gegenseitig: Die Knalleffekte der Feuerwerke gesellten sich zu den Trommelschlägen, die in den Straßen Roms widerhallten, und die Musiker, die mit ihren Fanfaren durch die Straßen zogen, verstärkten den Eindruck der sich ausbreitenden Palastbeleuchtung.“

Durch sehr umfangreiche Quellenrecherchen der „Musici“-Gruppe können die Autorinnen nicht nur die Festkultur, sondern auch den Alltag der Musiker lebendig darstellen. Was jedoch genau Ausländer von römischen Komponisten gelernt haben, ist schwerer nachzuweisen. Für den Lebenslauf reichte es vielen, einem Musiker wie Arcangelo Corelli die Hand zu schütteln – schon bezeichneten sie sich in der Heimat als dessen Schüler. Das Nachprüfen dieser Behauptung war im 17. Jahrhundert nicht einfach und vom deutschen Adligen, der für die Reisekosten aufkam, vielleicht gar nicht erwünscht. Hatte sein Hofmusiker erst einmal das Zertifikat einer Romreise, stiegen automatisch das Prestige seiner Hofkapelle und damit sein Eigenes dazu. Die höfische Karriereleiter ließ sich also durch eine Italienreise schneller erklimmen. In Rom selbst fassten die wenigsten Musiker Fuß; dafür war, so Kägler und Zur Nieden, die Konkurrenz zu groß. Besser als den Einfluss eines Kompositionsunterrichts lassen sich hingegen die Auswirkungen auf die Aufführungspraxis in anderen Ländern nachweisen. Kägler und Zur Nieden bringen hier als Beispiel die römisch beeinflussten Gesangsschule des Franzosen Pierre de Nyert.

Durch die Fragestellungen der Autorinnen zu römischen Orten und Institutionen werden im Band auch viele vergessene Komponisten vorgestellt. Das ist etwas Besonderes an „Die schönste Musik zu hören“, denn gerade in der einführenden Fachliteratur zur Musik in Rom erheben sich noch immer – vorzugsweise mit viel Pathos – große Namen wie Felsgiganten aus einem Meer der Kleinmeisterei. Doch viele Komponisten, die zu ihrer Zeit das musikalische Leben dominierten, finden sich heute in der zweiten Reihe der Musikgeschichtsschreibung wieder.

In seinem ganzen Prunk beschreiben die Autorinnen auch das römische Mäzenatentum. Befremdlich ist für heutige Leser dabei das Varieteartige der Opernaufführungen und Kirchenkonzerte: „Die Besucher, die den meisten Aufwand trieben brachten sich Eis und Schokolade zum Verzehr in die Kirche mit.“ Durch die raffinierte Darbietung der Musik mit Konfekt und Samtvorhang konnte es aber auch zum Albtraum für den Mäzen kommen, wenn, wie im Jahr 1700, eine Musikertribune zusammenbrach, Knochen und Instrumente zu Bruch gingen. Der nachweisliche Aufwand war vor allem eine Machtdemonstration des guten Geschmacks – und der finanziellen Ressourcen der Gesandten. Kulturelles Imponiergehabe wurde an allen Orten der Stadt ausgetragen: so sangen die Sopranistinnen der spanischen und französischen Gesandtschaften auf der Piazza Navona um die Wette, oder die Lage der Loge im Opernhaus wurde zur Machtprobe zwischen den Bourbonen und Habsburgen. Die Autorinnen zitieren hier anschaulich die Klage des Gesandten des Heiligen Römischen Reiches über die steigenden Kosten durch die „Luxui“ der französischen Gesandtschaft.

„Die schönste Musik zu hören“ ist auch eine raffinierte Reiselektüre für musikbegeisterte Rombesucher – liest sich das Buch doch wie eine Stadtführung durch eine heute nicht unmittelbar ersichtliche Topographie Roms. Der Titel des Buches bezieht sich passenderweise auf Reiseberichte aus dem 18. Jahrhundert, aus welchen die Autorinnen oft zitieren. Befindet sich der Leser also gerade in Rom, kann er sich beim Besuch eines Kirchenkonzert in Wittelsbacher Prinzen hineinversetzen und gut nachvollziehen, welche Stimmung das Zusammenspiel von Musik und Deckenfresken einst erzeugte. Schokolade und Eis sollten heute aber nach dem Konzert verzehrt werden.

Carlo Mertens